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3.7.2024

Seit dem 11. Juni 2024 ist DAS GROSSE WELTTHEATER zum 17. Mal als Freilichttheater vor der barocken Klosterkirche Einsiedelns zu sehen - die Vorstellungen laufen noch bis zum 7. September. 1924 wurde "Das grosse Welttheater" von Pedro Calderón de la Barca in Einsiedeln zum ersten Mal in Szene gesetzt. Seit dem Jahr 2000 wird das Stück für jede neue Spielserie von einem zeitgenössischen Dramatiker bearbeitet und vom "Einsiedler Spielvolk" auf dem Platz vor dem Kloster zur Aufführung gebracht. Lukas Bärfuss hat ursprünglich für 2020 eine neue Fassung des Welttheaters geschaffen. Zur Aufführung gelangte sie nun - aufgrund der Corona-Pandemie - im Jubiläumsjahr 2024.

Klostersturm-Szene vor dem Kloster Einsiedeln

Im Gegensatz zu Calderóns Original gehen bei Bärfuss zwei Kinder, aber insbesondere die Heldin Emanuela alleine durch alle Figuren des Welttheaters sowie deren Altersspannen. Diese Figuren "sind müde, wollen nicht mehr, haben ihre Bestimmung, ihre Bedeutung im Spiel des Lebens verloren. [...] Die Welt, heimliche Hauptdarstellerin des Stücks, ist aus den Fugen - und tanzt und lacht sich doch wie eine Irre durch den Abend", beschreibt Peer Teuwsen in der NZZ am Sonntag (09.06.2024) das Grundkonzept von Bärfuss' Überschreibung: "Es ist derb, witzig und auch sehr ernst, was Autor und Regisseur dem Publikum bieten. Und von erstaunlicher Radikalität und Bildhaftigkeit. Denn die Rolle der Frau in dieser Inszenierung ist der Herzschlag, der alles vorantreibt – und natürlich auch eine Korrektur Calderóns." 

Auch Alexandra Kedves im Tagesanzeiger (12.06.) berichtet von der Deutlichkeit, mit der Lukas Bärfuss hier mit aller Schärfe Ungerechtigkeiten anprangert und den ein oder anderen "Schockmoment" erzeugt, bei dem "das Publikum hörbar nach Luft" schnappte. Aber im Kern, so Kedves weiter, gehe es Bärfuss "um Determination und Freiheit, ums gute Leben in schlechten Strukturen. Um die Möglichkeit von Moral und Glück. 'Welche Rolle ist deine Rolle? Wie willst du leben, wie sterben?' sind Fragen, die Bärfuss bei Calderón ausmacht." Der Optimismus, den Regisseur und Autor in die "trotzigen Kinderfiguren" legen, sei "berührend". Und: "Sie verstehen sich ausserdem darauf, auf 40’000 Quadratmetern mit rund 500 Mitwirkenden ein Stück zu gestalten, das die auf zwei Tribünen verteilten über 2000 Besucher erreicht: mit klaren Einzelszenen, wuchtigen Massenszenen und ganz viel Raum fürs musikalische Gefühle-Bespielen."

Drache vorm Kloster

Die Rolle der Kinder als Hoffnungsträger in Text und Inszenierung würdigt auch Ueli Bernays in der NZZ (13.06.2024): "Wo Calderón zwar eine Kinderrolle schaffte, aber weder auf der Welt noch im Himmel einen Platz für sie fand, setzt Bärfuss Kinder in den Mittelpunkt. Wenn Pablo und Emanuela über die Kiesarena springen, um die müden Erwachsenen zu theatralen Taten zu treiben, sorgen sie nicht nur für kindlichen Charme und spielerische Frische. Sie stehen freilich auch für die Zukunft, die Hoffnung und einen Neubeginn des «Welttheaters»." Bernays fragt: "Ist die Welt, ist das Leben als Geschenk zu verstehen? Das gilt jedenfalls für das «Welttheater», das nicht nur das lange applaudierende Premierenpublikum beglückte", sondern auch für das Dorf und die Mitwirkenden eine besondere Erfahrung darstelle.

"Bärfuss bezeichnete die Aufgabe als 'unmöglich', löst sie aber geschickt: Kritisch, aber nicht verkopft und der ambitionierten, sehr großen Laienbesetzung hervorragend angepasst", urteilt Tobias Gerosa auf nachtkritik. "Immer wieder eindringliche Bilder" hat der Kritiker dort gesehen und betont die Rolle der zentralen Frauenfigur Emanuela: "Dass sie auch durchaus individuelles Profil entwickelt, ist eine Neuerung von Bärfuss' Fassung gegenüber dem rein allegorischen Vorbild" (12.06.2024)

"Der Schauwert ist enorm, Nebel fließt in Kaskaden herab, die Volksaufläufe sind beeindruckend. Interessant ist dabei, dass bis auf wenige Momente alles sehr ernst ist. Ein eschatologischer Abgesang auf unsere Welt, eine mäandernde Apokalypse, durch die die allerletzten Momente einer Hoffnung wandern. Also doch eine Wallfahrt" - so das Fazit von Egbert Tholl in der SZ (07.07.2024). 

Die Zeit berichtete im Vorfeld ausführlich über die integrative und gemeinschaftsstiftende Theaterarbeit des gesamten Dorfes, in der sich unter anderem eine Schulleiterin, ein jugendlicher afghanischer Geflüchteter und eine Studentin begegnen: "Eine soziale Installation" (Die Zeit, Timo Posselt, 10.06.2024).

Weitere Links zu Radio- und Fernsehberichten über die Inszenierung gibt es praktisch gebündelt auf der Website des Welttheaters.

Vier ausführliche Gespräche im Literaturhaus Zürich mit Lukas Bärfuss über die "biggest show on earth" kann man hier (1), hier (2), da (3) und dort (4) nachsehen. Etwas kürzer ein Interview mit Lukas Bärfuss aus der Zeit über die Weltlage und das Welttheater, in dem Bärfuss erzählt, "wie berührt, wie erschüttert ich war von der Hingabe dieser Menschen. Hingabe an das Welttheater. Wie alle dieser Sache dienen, wie sie Teil von etwas werden, wie sie sich aufopfern. Das Verhalten des Einzelnen löst sich auf in dem, was wir gemeinsam machen. Dabei entsteht etwas, das vorher nicht da war: das Theater. Das ist der utopische Charakter des Theaters, und an diese Erfahrung denke ich, wenn ich an die Demokratie denke. Und wenn ich an die Freiheit denke. Und an die Gerechtigkeit. Das alles können wir nur gemeinsam machen – und die Freude, wenn es uns gelingt, ist unbeschreiblich."

Den Text von Lukas Bärfuss - in Mundart sowie in einer schriftdeutschen Übersetzung - gibt es in einer schönen Edition mit einem Essay des Autors.