Inhalt
"Es gibt nur ein einziges Organ, das sie sich nicht herausreißen ließe, obwohl dies medizinisch ohne Weiteres möglich wäre, nämlich die Zunge. Sie will nicht. Ohne Zunge könnte sie kein Theater mehr machen, sie verlöre ihren Status als Bürgerin und damit ihren Krieg gegen den Feind. Was den Rest ihres Körpers anbelangt: egal! (...) Ihre Zunge genügt ihr, um Theater zu machen, und zum Sex auch."
Ein Mann erzählt von einem radikalen Entschluss seiner Frau. Da es im Libanon aufgrund religiöser Bestimmungen unmöglich ist, eine Leiche einäschern zu lassen, plant sie, sich nach und nach all ihre Organe entfernen und die Gliedmaßen amputieren zu lassen, um das Gesetz zu umgehen und ihren Körper dennoch dem Feuer zuzuführen. Sie schaltet sogar eine Internet-Plattform, um darauf Körperteile als Kunstobjekte zu verkaufen.
Die Konsequenz und Detailtreue, mit der APPENDIX diese Gedanken verfolgt, fasziniert und schockiert gleichermaßen. Dabei berührt der Text nicht nur ontologische Fragen über den Zusammenhang von Leib und Seele, sondern lenkt den Blick auch auf die Gewalt, welche die Bestimmungen von Religion und Staatsmacht auf den Körper des Individuums ausüben. Ähnlich wie in Mroués und Majdalanies Stück BIOKHRAPHIA (DSE Schauspiel Zürich 2011) verschwimmen auch hier die Grenzen zwischen persönlichem Leben, Kunst und Politik.
Auszug aus Christopher Schmidts Text "Grenzgänger zwischen den Künsten und Sparten" über Lina Majdalanie und Rabih Mroué in der Zeitschrift "Sprache im technischen Zeitalter“, Dez. 2011:
"In ihrem großen Monologstück 'Appendix' revoltiert Lina Majdalanie gegen die im Libanon verbotene Feuer¬bestattung. Als einziger Ausweg, nicht in libanesischer Erde begraben zu werden, erscheint die Möglichkeit, den eigenen Körper zum Kunstwerk zu erklären und seine Teile nach dem Tod als Artefakte versteigern zu lassen. Was sich wie eine frivole Farce auf die Mechanismen des Kunstmarktes anhört, ist ein bitterer Kommentar zur Freiheit der Kunst, die in so grellem Kontrast zur Unfreiheit des Individuums steht."
Autor
Lina Majdalanie wurde 1966 in Beirut geboren. Sie studierte Theater an der Lebanese University in Beirut und der Sorbonne Nouvelle in Paris. Sie hat diverse Stücke geschrieben sowie inszeniert und gespielt, ...