Inhalt
Zum ersten Mal seit Jahren, vielleicht sogar in seinem ganzen Leben, scheint Klawitter Aussicht auf einen echten Arbeitsplatz zu haben. Die Fragen seines Gegenübers scheinen vielverheißend, ein echtes Vorstellungsgespräch. Aber Herr Fest ist kein Personalchef eines Unternehmens, sondern Trainer einer Arbeitslosenschulung.
Ist Klawitter einer solchen Schulung überhaupt gewachsen? Fachlich wie menschlich? Klawitter ist es offenkundig nicht, trotz mancher verheißender biographischer Ansätze. Fest bedeutet ihm, dass er von Grund auf falsch gelebt hat, dass sein Leben farblos ist, ein Leben ohne Dramatik, ohne Zug und ohne Ziel. "In der vorliegenden Fassung", so Fest, "ist Ihre Vita unhaltbar." Noch ist Fests Schule die einzige, ein erster Anfang. Es folgen dieser Schule immer weitergehende Bewerberschulen, Stufe um Stufe. "Bereits die Stufen, die nach uns kommen, sind atemberaubend."
Das Sujet "Arbeit" gelangt hier zu kafkaesker Unerreichbarkeit, zu einer Chimäre, die von zahllosen Türstehern verstellt und verwaltet wird. Das Stück variiert die Grunderfahrung von immer mehr Menschen, dass eigene berufliche wie menschliche Fähigkeiten im Zuge der Massenarbeitslosigkeit nicht gefragt sind, wegwerfbar erscheinen. Es ist die Erfahrung, dass Kreativität und Bildung, sofern sie nicht marktgerecht sind, als machtloser Geist auf die Schranken geistloser Macht stoßen.
"Vorstellungsgespräch" liegt als kleine Fassung zum Stück "Schule der Arbeitslosen" vor. Beide Titel basieren auf dem Roman "Schule der Arbeitslosen", der 2006 erschienen ist und auf Platz 3 der SWR-Bestenliste stieg. Das Buch, dessen Handlung im Jahr 2016 spielt, schildert die einzelnen Stufen einer Schulungsideologie, in der die Verfolgung und Verteidigung von Arbeit zu einer wahnhaften Besessenheit und einem heiligen Selbstzweck wird, an dem moderne Gesellschaften umso vehementer festhalten, je mehr ihnen die Arbeit de facto ausgeht.