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Cecilia hat aus der Schule eine Videokamera ausgeliehen und soll für den Philosophiekurs ein Interview führen. Allerdings muss sie an dem Nachmittag zu Hause bleiben, da ihre Mutter Paula mit ihrem Ex-Mann verabredet ist und Großmutter Rosa nicht allein bleiben kann. Notgedrungen interviewt Cecilia ihre an Alzheimer erkrankte Oma.
So die Ausgangslage. Was folgt, ist ein langsamer aber unerbittlicher Zerfall des Generationenpakts. Ausgelöst dadurch, dass die alte Frau Geschmack an der Aufmerksamkeit findet, die sie vor der Kamera erfährt, und ihrer Enkelin eine ungeheuerliche Geschichte auftischt: Sie sei als junge Mutter für ein paar Monate mit einem Uhrmacher namens Adrián nach Deutschland durchgebrannt, nachdem ihre Affäre aufgeflogen und Adrián bedroht worden war. Ihre Töchter (Paula und eine Zwillingsschwester) wuchsen indessen in der Annahme auf, ihre Mutter habe die besagten Monate wegen einer schweren Erkrankung isoliert in einem Krankenhaus verbringen müssen.
Ist das wahr? Ist das Alzheimer? Nach der Rückkehr vom Treffen mit ihrem Ex-Mann konfrontiert Cecilia ihre Mutter. Wieder kommt die unselige Kamera ins Spiel, die aus den Menschen Schauspielern macht. Mutter (Paula) und Tochter (Cecilia) beginnen sich gegenseitig zu interviewen. Erst spielerisch, dann vom Jagdfieber gepackt. Auf scharfe Fragen kommen verletzende Antworten. Die Familienerzählung – und jede Familie wird durch ihre eigene Erzählung zusammengehalten – zerfällt. Am Ende weiß keiner mehr, was er vom anderen halten soll.
Eine Zerstörung, so subtil wie gründlich. Und dabei ist der Mechanismus unerhört einfach. Diese Videokamera funktioniert wie ein Vorzeichenwechsel. Durch ihre Anwesenheit verkehrt sich die Selbstinszenierung in den Normalzustand – und wenn jeder zum Schauspieler wird, dann sorgt auch eine authentische Äußerung für Irritation. So wenn die kokette Cecilia Mauricio, dem chronisch gut gelaunten Physiotherapeuten ihrer Oma gesteht, am meisten Angst habe sie davor, dass sie nicht geliebt werde, und der mit diesem Geständnis nichts anzufangen weiß. Oder wenn die Großmutter ihrer Enkelin entlocken will, ob sie schon einen Freund hat, und dann plötzlich mit der Frage rausrückt, ob die Mutter plant sie in ein Altersheim zu bringen. Dann wird hinter den Selbstdarstellern plötzlich die Einsamkeit sichtbar. Die Bedürftigkeit. Die Angst.
In Die Kunst des Interviews erfahren die Figuren ihre Vereinzelung mit aller Konsequenz – und mit allem Schmerz. Der Spagat zwischen Verspieltheit und existenzieller Erfahrung, der Mayorga hier glückt, lässt an Tschechow denken, und enthebt das Stück aller postdramatischen Abgeklärtheit.
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Autor
Juan Mayorga wurde 1965 in Madrid geboren, wo er auch heute lebt. 1988 schloss er sein Philosophie und Mathematik-Studium ab. Verschiedene Forschungs- und Lehraufträge in Münster, Berlin und Paris. 1997 Promotion in ...